Stefan Marquard nimmt sich lange Zeit für das Interview mit dem SÜDKURIER. Für den TV-Koch und Küchenmeister kommt Siezen nicht in Frage. „Nenn mich Stefan“, sagt er gleich zu Beginn. Und es geht freundlich weiter: „Großartig, dass der SÜDKURIER so viel über die Kulinarik und das Kochen berichtet.“ Dass er aber auch andere Töne anschlagen kann, zeigt Stefan Marquard im Interview.

Also gut, Stefan. Seit 46 Jahren stehst Du in der Küche. Was hat sich verändert in der deutschen Restaurant-Szene?

Die alten Klassiker wie das Restaurant Sansibar oder die Sterne-Häuser wie die Traube Tonbach haben immer noch Bestand und die wird es auch weiterhin geben, da dort viel Geld dahinter steckt. Und es wird immer mal wieder Ein- oder Zwei-Sterne-Restaurants geben. Aber die Landgastronomie wird es schwieriger haben, da unser System der Ausbildung und der Arbeitsbedingungen völlig überholt ist.

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Was muss sich tun, damit sich die Situation ändert?

Junge talentierte Leute sollen auf keinen Fall mehr diese dreijährige Lehre mit Berufsschule machen, bei der im Betrieb möglichst alles von der Pieke auf gelernt werden soll. Das ist völliger Schwachsinn. Dann hast du Kollegen da draußen, die nach wie vor echte Choleriker sind. Alles gehört auf den Prüfstand. Wir müssen mit Zertifikaten arbeiten. Ein Beispiel: Ein junger Mensch hat Lust auf Gastronomie, aber nicht auf die Lehre. Er möchte sich auf etwas spezialisieren und Entremetier werden, also Koch für Beilagen. Der geht jetzt den Weg des Learning-by-doing. Und wenn er das es kann, erhält er ein Zertifikat. Wenn er Lust hat, kann er sich das nächste Zertifikat erarbeiten. Und so weiter.

Stefan Marquard mit SÜDKURIER-Hincooker Andreas Schuler.
Stefan Marquard mit SÜDKURIER-Hincooker Andreas Schuler. | Bild: Schuler, Andreas

Also keine langjährige universelle Ausbildung mehr?

Wir sollten es so machen wie in Amerika: Da kommen die Leute zur Hintertür herein und fragen, ob es Arbeit für sie gibt. Die fangen an der Spüle an und arbeiten sich kontinuierlich nach oben. So findet die fundierte Ausbildung nicht dezentral in irgendwelchen Schulen statt, sondern direkt vor Ort in den Betrieben – weil alles andere wieder einen Wasserkopf ergibt. Die jungen Leute von heute leben zu 50 Prozent in einer virtuellen Welt und sind in diesen Dingen viel schneller als wir, die wir uns das alles hart erarbeiten müssen. Von daher sollten wir versuchen, die Welt außerhalb der virtuellen für sie interessanter zu gestalten.

Ausbildung ist das eine, Arbeitsrealität das andere. Nachts und am Wochenende arbeiten, Überstunden – ist hier Potenzial für Änderungen?

Das Leben ist so Multi-Kulti geworden, man muss als Gastronom nicht mehr nur aufs Wochenende hoffen. Mittlerweile gibt es Entertainment und Unterhaltung an jedem Tag. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Wenn ich als Unternehmer es nicht schaffe, einen Betrieb zu führen, in dem meine Mitarbeiter maximal fünf Tage die Woche arbeiten, habe ich das Thema verfehlt. Ich muss auf die Basics achten: Wie mache ich meine Vorbereitungen? Wie läuft der Service? Wie und wann arbeitet die Küche?

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Schafft das jeder Gastronom? Betriebsblindheit ist in Küchen keine Seltenheit...

Im Zweifel kannst du einen Freund, der keine Ahnung von Gastronomie hat, um Rat fragen. Der beobachtet deinen Betrieb von oben und abends beim Fläschchen Wein erzählt er. Daraus ziehst du deine Schlüsse und setzt um, was möglich ist. Das wäre eine Möglichkeit, Menschen für den Beruf zu gewinnen und wieder Spaß zu haben. Köche sind Diven. Ich darf das sagen, ich bin selbst Koch. Doch auch wir Diven müssen uns immer wieder hinterfragen.

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Es gibt in Deutschland eine Handvoll Köche, die jeder kennt: Tim Mälzer, Steffen Henssler, Stefan Marquard oder Tim Raue. Kaum ein Tag, an dem nicht mindestens einer davon im Fernsehen zu sehen ist. Wie ist das Verhältnis untereinander?

Es gibt zwei Riegen von Starköchen. Zum einen die, die eher im Hintergrund arbeiten und durch ihr Tun und Wirken sehr erfolgreich sind. Und zum anderen die Fernseh-Köche – da ist die Welt natürlich sehr klein. Jeder erfüllt hier seinen Part. Und wir sehen uns oft und machen regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen oder sehen uns auf Messen. Da sind zwar auch Leute dabei, mit denen ich nicht in Urlaub fahren würde, aber wir verstehen uns irgendwie alle gut.

2008 war Stefan Marquard im Rahmen der TV-Sendung „Die Kochprofis“ zusammen mit seinen Kollegen Ralf Zacherl (links) und Martin ...
2008 war Stefan Marquard im Rahmen der TV-Sendung „Die Kochprofis“ zusammen mit seinen Kollegen Ralf Zacherl (links) und Martin Baudrexel zur Unterstützung im Restaurant Camino in Tengen Köchin Caren Dries. | Bild: Archin Waschkowitz

Du bist seit längerer Zeit nicht mehr im aktuellen Fernsehen zu sehen. Lediglich in Wiederholungen alter Sendungen.

Ich habe im TV vor drei Jahren aufgehört – ich in dankbar für diese Zeit, in der sich sehr viel gelernt habe. Aber meine Prioritäten haben sich verschoben. Ich mache gerne Platz für neue, jüngere Leute. Jetzt bin ich viel als Berater unterwegs.

Tim Mälzer oder Tim Raue sind weiterhin im TV zu sehen und haben nach wie vor eigene Restaurants. Dann gibt es immer mehr Köche wie Dich oder Meta Hiltebrand, die auf Restaurant-Beratung, Veranstaltungen oder Kochkurse setzen und keine Restaurants mehr betreiben. Warum eigentlich?

Ich persönlich habe irgendwann alles, was ich gelernt und gemacht habe, auf den Prüfstand gestellt – Garmethoden, Zubereitung und so weiter. Ein Beispiel: Wenn du eine Poulardenbrust handwerklich perfekt auf den Punkt auf den Teller bringen möchtest, dann musst du ein Profi sein. Die Voraussetzung dafür: Erstens musst du es selbst drauf haben, zweitens dauert das eine gewisse Zeit, aber drittens hast du mindestens 20 bis 30 Prozent Gewichtsverlust. Jetzt habe ich andere Garmethoden angewandt und seither gar keine Verluste mehr. Dann kannst du richtig Geld verdienen. Wenn ich mit den neuen Methoden noch ein Drittel weniger Energie und Wasser brauche, meine Mitarbeiter zwei Stunden weniger Arbeit damit haben, ich 25 Prozent mehr einkaufen kann – dann ist das für mich wie die Lizenz, Geld zu drucken. Es wird Zeit, uns von diesem Stressfaktor zu befreien. Viele Gastronomen haben dafür keine Zeit und buchen mich, damit ich ihre Konzepte auf den Prüfstand stelle.

Du wohnst in Südfrankreich und pendelst zwischen Deutschland und Deiner neuen Heimat. Salopp gefragt: Was hat der Franzose auf dem Gebiet der Kulinarik dem Deutschen voraus?

Der Deutsche lebt, um zu arbeiten. Der Franzose arbeitet, um zu leben. Der Franzose zelebriert das Essen. In Frankreich gibt es immer, zwei, drei, vier oder fünf Gänge, vorher ein Aperitif. Auch unter der Woche. Bertold Siber, der einstige Zwei-Sterne-Koch aus Konstanz, wohnt 150 Meter von mir entfernt, wird sind befreundet. Wenn er etwas kocht, gibt es mehrere Gänge.

Stefan Marquard mit Bertold Siber, der in Südfrankreich rund 150 Meter entfernt lebt und in Konstanz das Zwei-Sterne-Restaurant ...
Stefan Marquard mit Bertold Siber, der in Südfrankreich rund 150 Meter entfernt lebt und in Konstanz das Zwei-Sterne-Restaurant Stephanskeller sowie das Eins-Sterne-Haus Seehotel Siber führte. | Bild: Schuler, Andreas

Deutsche sind froh, wenn sie unter der Woche satt werden. In Frankreich gibt es mehr Lebensfreude. Dafür legt der Franzose keinen Wert auf das Auto, das muss funktionieren und fertig. Auch die Wohnung oder das Haus sind nicht wichtig. Aber gute Ernährung, einmal am Tag essen gehen und sich dabei toll anzuziehen – das wird in Frankreich zelebriert.

Du bist Punk- und Hard-Rock-Fan. Kochen ist laut Deiner Aussage wie Punk-Rock. Wie passt das zusammen?

Musik war für mich immer das Wichtigste beim Kochen. 1991 habe ich mein Restaurant ‚Drei Stuben‘ in Meersburg eröffnet. Das erste, was ich gekauft habe, war die beste Musikanlage, die es auf dem Markt gab damals. Ich habe meine Leute immer nach der Musik eingestellt, am Anfang war das noch nicht Punk- oder Hard-Rock. Somit hatte ich immer Leute, die zusammen gepasst haben. Das bringt Harmonie in die Bude.

Bei der Closing Party des San Martino trafen sich kürzlich Jochen Fecht, Sternekoch des geschlossenen San Martino, Bertold Siber, ...
Bei der Closing Party des San Martino trafen sich kürzlich Jochen Fecht, Sternekoch des geschlossenen San Martino, Bertold Siber, einstiger Konstanzer Sternekoch im Stephanskeller sowie im Seehotel Siber, sowie Stefan Marquard. | Bild: Schuler, Andreas

Ein Freund von Dir, Jochen Fecht, hat gerade sein Sterne-Haus San Martino in Konstanz geschlossen. Du hast den Bodensee 2000 verlassen. Was bedeuten solche Verluste für die Region?

Das liegt nicht immer an den Köchen. Jochen hätte gerne weitergemacht. Aber oft liegt es an der Gier der Verpächter, wenn man so etwas sagen darf. Gerade im Sternebereich hat man einen ganz anderen Wareneinsatz und Mitarbeiteraufwand als in anderen Restaurants. Wenn dann ein Verpächter immer mehr und noch mehr Pacht will, ist das irgendwann nicht mehr zu finanzieren.

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Tim Raue hat im SÜDKURIER die Menschen hier kritisiert, dass sie die herausragenden Köche vor der eigenen Haustür wenig zu schätzen wissen, da hauptsächlich Schweizer in die gehobene Konstanzer Gastronomie kommen. Was sagst Du dazu?

Konstanzer sind bereit, für eine gute Küche sogar auf die andere Seeseite zu fahren und umgekehrt. Ich sage einfach mal: Da muss der gute Tim Raue als Berliner Kindl erst einmal seine Hausaufgaben machen und nicht auf 100.000 Hochzeiten tanzen, sondern öfter mal hierher kommen. Dann wird er die Menschen von hier auch zu schätzen wissen.

Klar haben die Schweizer den Ruf, für die Kulinarik mehr Geld auszugeben. Und in Konstanz sind viele Schweizer – das ist ja naheliegend und sie zahlen nur einen Bruchteil von dem, was sie daheim zahlen würden. Die Schweiz ist nun mal sehr nahe an Konstanz.