Sie prägen vielerorts das Straßenbild: Balkone, Hinterhofgärten, Terrassen besetzt mit Kräutertöpfen, Tomatensträuchern oder Paprika im Hochbeet. Das sogenannte Urban Gardening, frei übersetzt „städtischer Gartenbau“, ist seit Jahren im Trend.

Die Vorteile liegen auf der Hand, wie Lisa Maier vom Nabu-Bodenseezentrum erklärt: „Urban Gardening dient als persönliche Ergänzung der Nahrungsmittelproduktion.“ Zudem schärfe es das Bewusstsein für die Bedeutung von regionalem, saisonalem und Bio-Anbau. „Darüber hinaus schafft es Lebensräume für Insekten und Vögel in der Stadt, die es so nicht gäbe.“

Diese Ecke eines Konstanzer Balkons hat durchaus ein wenig Urwald-Potenzial.
Diese Ecke eines Konstanzer Balkons hat durchaus ein wenig Urwald-Potenzial. | Bild: Schuler, Andreas

Sechsmal so großer CO2-Fußabdruck

Doch seit Januar 2024 dreht der Wind ein wenig. Die Hobby-Heimgärtner stehen vor der Frage, ob ihr Eigenanbau dem Klima schadet. Grund sind die Ergebnisse, zu denen eine Studie vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund (ILS) kommt. Danach hat Urban Gardening einen größeren CO2-Fußabdruck als konventionelle Landwirtschaft. Genauer gesagt: sechsmal so groß. Die Gründe liegen darin, dass bei großflächigem Anbau Infrastruktur, Material oder Wasser effektiver genutzt werden. Für die Studie wurden Menschen aus rund 70 Stadt-Gärten befragt – in Deutschland, Frankreich, Polen, dem Vereinigten Königreich und den USA.

Die Hobby-Gärtner mussten für die Studie Tagebuch führen und festhalten, wie viel Obst und Gemüse Sie geerntet haben. Dabei haben die Teilnehmer notiert, welche Ressourcen sie verbraucht haben und auch, welche Hilfsmittel wie zum Beispiel Gießkannen sie für ihre Stadtgärten neu besorgen mussten.

Eigens angebaut Erdbeeren schmecken einfach besser als gekaufte. Ganz bestimmt.
Eigens angebaut Erdbeeren schmecken einfach besser als gekaufte. Ganz bestimmt. | Bild: Schuler, Andreas

BUND Konstanz schränkt ein

Jarid Zimmermann, Geschäftsführer BUND Konstanz, hält die Studie zwar für interessant, schränkt aber ein: „Urban Gardens haben nicht primär eine Ernährungsfunktion, sondern eine Erholungsfunktion. Sie sind eine schöne Freizeitbeschäftigung.“

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Dabei lerne man, wie anspruchsvoll es sei, Lebensmittel zu produzieren, „dadurch gewinnt die Stadtbevölkerung einen Eindruck davon, welche immens schwierige und wichtige Leistung die Landwirtschaft für die Bevölkerung erbringt. So erfahren die Menschen auch, wann welches Gemüse in der Region wächst“.

Diese Gurke hat einen leichten Hang zur Krümmung.
Diese Gurke hat einen leichten Hang zur Krümmung. | Bild: Schuler, Andreas

Der BUND Konstanz betreut ein Urban Gardening Beet mit 15 Urban Teilnehmern im Konstanzer Palmenhauspark. Daniel Bender und Kristina Meier sind die ehrenamtlichen Organisatoren. „Die Studie wirkt wie eine Schönrechnerei der hochindustrialisierten Landwirtschaft“, schreibt Daniel Bender auf SÜDKURIER-Anfrage.

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Das Heranziehen des LCA (life cycle assessment, Lebenszyklusanalyse, Anm. d. Redaktion), der auch berechnet wird anhand der Zeit, die ein Gemüse braucht, bis es geerntet wird, um den CO2-Fußabdruck zu berechnen, lasse viele Aspekte außer Acht, so Bender weiter. „Natürlich wird eine Industriegurke schneller geerntet als eine Gartengurke und lässt danach Platz, um eine neue Gurkenpflanze zu pflanzen.“

Ein Hobbygärtner pflegt sein selbst angebautes Gemüse. Urban Gardening hat nicht nur eine Ernährungs-, sondern auch eine Erholungsfunktion.
Ein Hobbygärtner pflegt sein selbst angebautes Gemüse. Urban Gardening hat nicht nur eine Ernährungs-, sondern auch eine Erholungsfunktion. | Bild: Joshua Resnick - Fotolia

Was laut Daniel Bender nicht berücksichtigt wird: Die Tonnen an Lebensmitteln, die jährlich entsorgt werden, weil sie nicht dem Anspruch des Verbrauchers genügten. Diese seien nicht Teil der Studie und ein alleiniges Problem der industrialisierten Landwirtschaft.

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„Ein Gärtner würde niemals auf die Idee kommen, eine krumme Gurke zu entsorgen. Ist also der Platz, den eine schneller abgeerntete Gurkenpflanze lässt, um eine neue zu pflanzen, wirklich ökologischer, als den Platz den eine einzige Gartengurke braucht? Ich wage es zu bezweifeln“, so Daniel Bender. Um einen wahren CO2-Fußabdruck zu berechnen, müsste diese Lebensmittelentsorgung mit berücksichtigt werden.

So wird der CO2-Fußabdruck des eigenen Urban Garden kleiner

Was kann man machen, wenn man seinen persönlichen Kräutergarten gerne behalten, aber gleichzeitig den damit einhergehenden CO2-Fußabdruck verringern möchte? Die Forscher des ILS raten: Material wie Schaufeln oder Gießkannen möglichst lange benutzen, Regenwasser oder Brauchwasser aus dem Haushalt verwenden, und Abfall aus der Stadt recyceln.

Vielleicht findet sich auf einer Baustelle noch eine Stahlmatte als Rankhilfe oder Schutt für den Gartenweg. Es sei laut Jarid Zimmermann vom BUND Konstanz sinnvoll, Dinge wie Gießkannen, Schläuche, etc. zu teilen, um Doppeltanschaffungen zu vermeiden. Er empfiehlt außerdem Kompost statt Dünger. Lisa Maier vom Nabu rät zudem zu torffreier Gartenerde, um die Klimabilanz seines eigenen Anbaus zu verbessern.